Frauenselbstverteidigung

Ultimate Gedanken...

Frauen-Selbstverteidigung – Mythen, unbequeme Wahrheiten und wichtige Tipps
Vieles hiervon gilt auch für Männer-Selbstverteidigung. 
Insofern ist Gleichberechtigung hergestellt 😜

Mein Weg von Kampfsport, über Kampfkunst bis zur Selbstverteidigung war lang. Und er war von Mythen und Missverständnissen gepflastert. Nicht nur, dass wir als Kinder alle wie Bruce Lee und Bud Spencer sein wollten und es nie wurden. Bei Bruce sage ich „Leider“ und bei Bud „Gott sei Dank“.
Aber Worte wie „Selbstverteidigung“ und „Deeskalation“ werden in unserer Szene häufig wie Heiligenbilder vor sich her getragen. Vielleicht wird ihnen ja deshalb magische Kraft unterstellt. Gleiches geschieht übrigens auch mit KRAV MAGA. Es wird zur Marke stilisiert, der Unbesiegbarkeit unterstellt wird. Doch noch mehr nervt mich, dass der Umgang mit dem Thema Selbstverteidigung für Frauen meist bestenfalls als realitätsfern bezeichnet werden kann. Den Teilnehmerinnen an solchen Kursangeboten ist das nicht vorzuwerfen. Denn die meisten von uns, das schließt auch die meisten Frauen ein, haben keine oder nur wenig Erfahrung mit Gewalt. In unserer Gesellschaft werden gewalttätige Individuen sanktioniert. Und das ist gut so. Das Risiko einen Verkehrsunfall zu erleiden ist in unserem Land deutlich höher als das Risiko Opfer einer Gewalttat zu werden. Und auch das ist gut so. Ist es deshalb sinnlos sich vorzubereiten? Nein. Sicher nicht. Um beim Bild Straßenverkehr zu bleiben: Ich habe Sicherheitsgurte und ABS im Auto - auch wenn ich beides unter normalen Umständen nicht brauche. Falls aber eine Situation entsteht, in der ich beides brauche wäre es ohne diese Hilfsmittel vermutlich fatal ausgegangen.  

Mythos: Ich kann einzelne Abwehrtechniken lernen um mich sicher gegen Angriffe zu wehren.
Wozu führt es, dass die meisten Teilnehmerinnen keine Gewalterfahrung haben? Selbstverteidigung lernende Frauen (und sehr häufig auch Männer) klammern sich auf Grund mangelnder Erfahrungen im Umgang mit realer Gewalt (unbewusst) häufig an Bilder aus Filmen - Denn Gesehenes ist für unser Hirn schlicht „real“. Und häufig glaubt man oder frau an die Versprechungen von Selbstverteidigungskursen oder den Mythos im Namen des Systems (z.B. KRAV MAGA). Viele nach Selbstverteidigung und Selbstbehauptung suchende Frauen fragen mich in Kursen oder auch im Bekanntenkreis deshalb auch nach "Tricks und Tipps".  „Was ist denn DIE BESTE Technik wenn ER hinter dem Busch hervor springt und mich hinter den selben ziehen will?“ Aber der Ausgangspunkt ist falsch. Zum einen gibt es in Gewaltsituationen nicht DEN EINEN Angriff – und deshalb auch nicht DEN EINEN Kniff. Manchmal schlägt der/die Angreifer*in. Manchmal wird gefasst und geschlagen. Manchmal an deiner Handtasche gezerrt und zugeschlagen usw. Man kann aber schlicht nicht jede Variante trainieren. Deshalb führen so genannte Crashkurse in Frauen–SV auch meist in der Realität nur zum CRASH. 
Um das zu vermeiden trainieren wir im ULTIMATE KRAV MAGA auch häufig ein Abwehr-Prinzip gegen möglichst viele Angriffe einzusetzen. Und gleich noch eine ekelige Wahrheit warum FrauenSV-Kurse selten nachhaltig wirken: Täter eines sexuellen Übergriffes sind häufig genug Bekannte oder gar Verwandte. Und die hocken selten die ganze Nacht hinterm Busch und warten auf ihr Ziel. Seriöse Statistiken sprechen von fast 80% so genannter Beziehungsnahfeldtaten. Davon können leider nur zu viele Frauen erzählen. Aber: Wenn du dich schon bei Fremdem kaum trauen würdest zu schreien, wie ein wilder Mustang zu bocken, zu treten, zu schlagen und zu kratzen bis es vorbei ist weil es dir in deiner ERZIEHUNG nie beigebracht oder gar verboten wurde – warum sollte das dann bei deinem „netten“ Nachbarn, Kollegen, Chef, Ex etc. funktionieren? 

Sorry, hier kommt gleich noch eine unbequeme Wahrheit: Gewalt ist gewalttätig! Du kannst sie nur mit noch mehr Gewalt abwehren. Das erkennt übrigens auch der Gesetzgeber in den Notrechten an. Wenn der Täter sich zum körperlichen Angriff entschieden hat ist das Stadium von gewaltfreier Kommunikation vorbei. Da lässt sich nichts mehr deeskalieren. Täter sind nicht dumm. Sie sind gewalttätig weil sie glauben, so schneller an ihr Ziel zu kommen. Sei es Geld, Macht oder Sex. Punkt. Aber auch sie wollen sich dabei möglichst nicht verletzen. Sie sind Sadisten und keine Masochisten. Wenn du dich darauf vorbereiten willst musst du also lernen Täter zu erkennen (Vorbeugung) und lernen Gewalt auszuüben (Aktion). Und für letzteres musst du vielleicht auch manches, was dir die Gesellschaft über eine „gute Frau“ beigebracht hat für dein Überleben über Bord werfen. Vielleicht musst du auch eigene Glaubenssätze aufgeben („Ich bin schwächer als...“ „Ich könnte nie brutal sein“ aka „Ich tue keiner Fliege was zu leide“). So etwas erst als (junge) Erwachsene zu lernen ist ein längerer, manchmal sogar schmerzhafter Prozess. Aber es ist Wachstum! Und dazu braucht es regelmäßige Arbeit an sich. Ich kenne keine Fähigkeit, die sich ohne Übung aufbaut. Selbstverteidigung fängt im Kopf an. Sie ist Einstellungssache - das gilt auch für Männer.

Damit sind wir bei der nächsten unbequemen Wahrheit: Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung braucht Verhaltensänderung und die braucht ZEIT! Verstehe mich nicht falsch: Seminare können im Sinne einer Bewusstmachung von Gefahrensituationen sehr zielführend sein. Sie können auch Strategien aufzeigen – aber für dich zu kämpfen lernst du DORT KEINESFALLS. Sie können dir auch zeigen, ob ein Konzept zu dir und deiner Art zu lernen passt. Also komm gerne mal vorbei. Aber Vorsicht: Du könntest feststellen, das Selbstverteidigung vor allem EINSTELLUNGSSACHE ist. Wir nennen das MINDSET. Das bedeutet nicht paranoid durch den Alltag zu laufen - aber wenn mir in einer singulären Situation nur Gewalt helfen kann, dann ist sie die EINZIGE Lösung und sollte keinesfalls halbherzig sein. Ich schütte ja auch keinen HALBEN Feuerlöscher auf einen Brandherd!

Und noch eine Wahrheit über das Selbstverteidigungstraining: Auch angreifen will gelernt sein.
Häufig genug erlebe ich in Seminaren hundsmiserable Angriffe. Klar muss man die Dosis vorsichtig steigern, da niemand sofort maximaler Kraft und Dynamik Paroli bieten kann. Aber niemand kann lernen sich zu verteidigen, wenn Angriffe im Training unrealistisch sind. Damit meine ich fehlende Dynamik, zu schwach, zu kampfsportlich, zu choreographiert, falsches Distanzverhalten usw. Viele Trainierende müssen selbst zunächst lernen wie Täter angreifen. Das liegt auch daran, dass wir glücklicherweise selten Schläger ins Training kommen. Im Gegenteil haben etliche schon Hemmungen jemanden mal so richtig zu schubsen. Was mich zu der Frage führt gegen wen ich trainieren will mich zu verteidigen. Und deshalb halte ich auch hier eine flammende Rede dafür, dass Frauen Selbstverteidigung mit MÄNNERN trainieren. Ja. Es gibt sehr gute Gründe auch unter Ausschluss von Männern zu trainieren. Manchmal sind Aspekte zu besprechen in denen ein sicherer Raum absolut unabdingbar ist. Aber diesen Raum kann man auch in einem Verein wie unserem schaffen. Und trotzdem musst du das Gelernte auch „am lebenden Objekt“ einem Realitätstest zu unterziehen. Und der darf ruhig mal 20 Kilo schwerer sein als Du!

Mythos: Der Trainer weiß wo es lang geht!  
Wozu führt es denn, dass auch viele Trainer*innen wenig bis gar keine Erfahrung mit körperlichen Konflikten haben. Ich kenne unzählige Lehrer verschiedener Kampfstile, die sich selber noch nie prügeln mussten. Schlimmstenfalls wird dies den Kund:innen gar noch als Prädikat verkauft: „Ich selber habe mit den Jahren des Trainings gelernt soviel Selbstsicherheit auszustrahlen, dass mich niemand angreift.“ oder „Ich kann gewaltsame Situationen deeskalieren.“ (siehe oben). Mangelnde Gewalterfahrung oder mangelnde Bereitschaft sich mit Situationen körperlicher Gewalt zu beschäftigen führt neben falschen Prämissen (siehe oben) häufig dazu, dass Trainingsanbieter das Wunschdenken ihrer „Kundinnen“ bedienen. Wodurch sie natürlich mittelbar wieder mehr Kund*innen bekommen – und deshalb glauben alles richtig zu machen. Versteht mich nicht falsch, man muss sich nicht ständig im Alltag prügeln, um ein:e gute:r Trainer:in zu sein. Man muss sich ja auch nicht mit nacktem Hintern in eine heiße Pfanne setzen um zu wissen wie man ein Schnitzel brät. Aber als Trainer:in muss man bereit sein, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen und sie zu analysieren. Dann sollte man die eigenen "Kampftechniken" hoffentlich hinterfragen und zu dem Ergebnis kommen, dass im Überlebensstress nur wenig komplexe Dinge funktionieren. (vgl. "Ist UKM Kampfsport?") Gerade viele Trainer:innen und Stile trennen hier überhaupt nicht zwischen Sport und SV - was zu falschen Vorstellungen der Frauen beiträgt. Und noch fix eine Binsenweisheit: Männer sind keine Frauen! Was ich damit sagen will: Häufig wissen Trainer weil sie Männer sind (und hoffentlich keine Täter) selber MAXIMAL SEHR WENIG von sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Für sie ist sie ein Buch mit sieben Siegeln von dem sie nicht einmal wissen in welchem Regal es steht. Und deshalb betrachten sie das Ganze leider zu häufig nur kampfkunsttechnisch. Ein schönes Beispiel ist, dass nach aktuellen deutschen Kriminalitätsstatistiken der überwiegende Teil der Vergewaltigungen "von hinten" stattfindet - aber die meisten Kurse die "Missionarsstellung" mit der Hingebung eines BrazilianJiuJitsu Meisters beackern.

Und wenn wir schon dabei sind: Sollte man eine Waffe haben um sich zu schützen?
Nun schreibe ich ja von der deutlichen Gewalterfahrung und Gewalt der Täter. Und da soll also nur längerfristiges Training helfen... Wäre es dann nicht schlau sich eine Waffe zu besorgen? So als Ausgleich oder als Abkürzung? Also gut, eine Pistole kommt ja in Deutschland nicht einfach so in Betracht. Und wenn dann nur eine Gaspistole mit kleinem Waffenschein. Aber ein Pfefferspray oder ein Messer vielleicht? Oder so einen Stab an den Schlüsselbund, womit ich zuschlagen kann? Fangen wir mal hinten an: Sich ein Werkzeug für die Selbstverteidigung an den Schlüsselbund zu hängen ist nett ausgedrückt SELTEN DÄMLICH. Alleine schon wegen des Risikos das Teil im Gewühl einer körperlichen Auseinandersetzung zu verlieren und damit einem Täter Wohnungs- oder Autoschlüssel auf dem Silbertablett zu überreichen. Und was ist mit Pfefferspray? Also unter der Voraussetzung, dass es IN JEDEM POTENTIELLEN „worst case szenario“ nicht irgendwo in der Handtasche sondern schon in deiner Hand habe. Wie weit sprüht das eigentlich und kann ich mich damit vielleicht sogar selber verletzen? Sind die ewig haltbar? Muss ich damit vorher drohen bevor ich es benutze? Und außerdem steht auf der Dose was von „Nur als Tierabwehrspray erlaubt“. Ihr merkt es schon: Auch sowas braucht TRAINING. Kommt zu uns - wir sprechen drüber und probieren aus. "Naja!" sagst du: "Aber mal ehrlich so ein Messer macht doch schon Eindruck, wenn ich es ziehe, oder?!" Also mal ganz ehrlich: Wenn du eine Waffe mitbringst, dann sei besser bereit sie auch einzusetzen. Denn jemand der emotional so instabil ist wie ein Vergewaltiger könnte auch bei Bedrohung mit einer Waffe erst recht rot sehen. Und wenn du diese Entscheidung triffst sei dir auch darüber bewusst, dass es eher kompliziert ist jemanden damit nicht mindestens schwerwiegend zu verletzen. Willst du das wirklich? Und nicht zuletzt braucht es aufgrund unserer Erziehung viel Überwindung auf jemanden einzustechen. Eine gute Alternative in der SV sind durchaus Alltagsgegenstände, die man eh in den Situationen da hat. Aber auch andere Alternativen können zielführend sein. Vor allem sollte alles aber wohl überlegt und TRAINIERT sein.

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